Philosophie Convent

Das Wunder des Lebens

Das Wunder des Lebens wirkt vom Klitzekleinen bis zum Riesengroßen, alles Unsichtbare und Sichtbare ist verwoben, und erst durch das Mystische belebt sich die Existenz. Jakob Böhme, den Hegel als »ersten deutschen Philosophen« bezeichnete, beschreibt das Mystische im Buch Vom übersinnlichen Leben so: „Auch wenn dir Angst ist, so ist Gott nicht die Angst, aber seine Liebe ist da und führet dich aus der Angst in Gott.“ Im Werk Das Buch der Lebensverdienste von Hildegard von Bingen, die als erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters gilt, ist die Sentenz zu lesen: „Die Ewigkeit ist Feuer und das ist Gott und das Feuer hat Wirkkraft.“

Von Søren Kierkegaard sind im Werk Reif für die Ewigkeit die Sätze verbrieft: „Der Mensch muss begreifen, dass er nicht alles begreift; das Geheimnis des Seins kann er annehmen und verehren, verstehen kann er es nicht. Dabei hat er es zu belassen, denn es gibt gute Gründe dafür, dass uns das Wesentliche entzogen bleibt.“ Im Werk Geheimnis des Seins von Gabriel Marcel sind weitere Hinweise zur Thematik des »Seins« zu lesen; zum Beispiel der Satz: „Denn es ist, wie wir sehen werden, möglich, dass das Denken im Prüfen des eigenen Wesens zur Erkenntnis gelangt, es gründe unausweichlich in etwas, das es nicht ist, daraus es seine Kraft schöpft.“

Im Buch Haben oder Sein beschreibt Erich Fromm das Geheimnis des Seins wie folgt: „Die Zeit zu respektieren ist eine Sache; sich ihr zu unterwerfen ist eine andere. In der Existenzweise des Seins respektieren wir die Zeit, aber wir unterwerfen uns ihr nicht. Aber der Respekt wird zur Unterwerfung unter die Zeit, wenn die Existenzweise des Habens vorherrscht. In dieser Existenzweise sind nicht nur die Dinge »Dinge«, sondern alles Lebendige wird zum Ding. In der Existenzweise des Habens wird die Zeit zu unserem Beherrscher. In der Existenzweise des Seins ist die Zeit entthront; sie ist nicht länger der Tyrann, der unser Leben beherrscht.“

Im Glaubensbekenntnis von Albert Einstein ist zu lesen: „Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös.“ Und in dem Buch Die Welt voller Wunder von Pearl S. Buck steht geschrieben: „Vielleicht ist das überhaupt das Wichtigste - dass die Welt für uns immer voller Wunder ist.“ Wenn wir das Tor zum Wunderbaren mit dem Schlüssel der Weisheit öffnen, kann eine faszinierende Reise in das Mysterium beginnen: Im kleinsten Baustein der Materie liegt die Größe des Weltalls und es ist eine schöpferische Intelligenz, die alle Elemente des Lebens zur Körperlichkeit formt.

Wenn wir den Mikrokosmos des menschlichen Körpers einmal unter die Lupe nehmen, können wir bewusst wahrnehmen, dass sich dort in jeder Sekunde viele Millionen Zellteilungen abspielen. Jede Zelle besteht aus Atomen und keines der Atome, die momentan die menschliche Körperform erscheinen lassen, war bei unserer Geburt dabei - vielleicht war ja ein Atom unseres Herzmuskels vor vielen Jahren im Ohr eines Dinosauriers beheimatet? Wenn wir zum Beispiel ein Kohlenstoffatom mikroskopisch beleuchten, können wir staunend erkennen, dass dort eine „gähnende Leere“ herrscht, denn im Urgrund besteht die Materie nicht aus Materie.

Wenn wir auf der Erde, die schon mehr als vier Milliarden Jahre durch unsere Heimatgalaxie schwebt, einmal durch ein Teleskop in die Weite des Makrokosmos schauen, können wir beobachten, dass die Milchstraße einen Weltraum umfasst, der so riesig ist, dass das Licht etwa 100.000 Jahre unterwegs wäre, um diese Strecke ganz zu durchqueren. Nach Schätzungen von einigen Astronomen soll es Trilliarden von Sternen geben, zwischen denen unzählige kosmische Körper ihre geheimen Bahnen ziehen. Unser Heimatplanet Erde ist nur ein Staubkörnchen gemessen an der Größe des Universums und es kann wohl niemand sagen, wo das Universum aufhört.

Wenn wir uns den Mesokosmos anschauen, der drei räumliche und eine zeitliche Dimension beinhaltet, kommen wir wohl nicht um die wissenschaftliche Annahme herum, dass die Welt im eigenen Kopf erzeugt wird. Es mag erstaunlich klingen, denn wir schauen nicht nur auf einen Regenbogen, das Kopfhirn erzeugt auch die Farben des Regenbogens. Wir kennen also nicht die dingliche Welt „an sich“, sondern nur die Welt, die im Gehirn erzeugt und interpretiert wird. Und daran knüpft sich die philosophische Frage, was die dingliche Welt eigentlich erschafft, da im Gehirn unter der Schädeldecke keine Sinneseindrücke zu finden sind, sondern feuernde Neuronen.

Das Rätsel des phänomenalen Bewusstseins (Qualia-Problem) ist ein Fragezeichen, an dem lange herumgedoktert wurde, und einige Geisteswissenschaftler betrachten das Problem der Qualia als gelöst. Die Geisteswissenschaften erzeugen ständig neues Wissen, veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse immer wieder und weisen darauf hin, dass es mystische Aspekte gibt - das Übersinnliche, das Transzendente, das Göttliche. Der Psychotherapeut und Zen-Lehrer Karlfried Graf Dürckheim beschreibt es im Buch HARA - Die energetische Mitte des Menschen so: „Am Anfang und Ende, im Ursprung und in der Entfaltung allen Lebens steht das transzendente ICH BIN.“

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein, dessen Tractatus logico-philosophicus eines der rationalsten Bücher ist, die je verfasst wurden, beschreibt es auf den letzten Seiten dieses Werkes mit folgenden Sätzen: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ [...] „Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinweg gestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist). Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“